Michelle Braun: "Es ist schwer zu akzeptieren, dass man langsamer wird"

16.12.2020 –  Thorsten Eisenhofer

Michelle Braun (TuS Neukölln Berlin) nimmt seit rund zweiJahren eine Auszeit vom Hochleistungssport, um sich auf ihr Studium zukonzentrieren. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie…

Bitburger 0,0 Triathlon Bundesliga, Düsseldorf, 23.06.2019

Michelle Braun (TuS Neukölln Berlin) nimmt seit rund zwei Jahren eine Auszeit vom Hochleistungssport, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie schwer ihr dieser Schritt gefallen ist und was der Auslöser war, sie hat uns verraten, ob sie manchmal neidisch auf die Erfolge ihres Freundes Simon Henseleit ist und uns erzählt, was ein Zahnmedizinstudium mit Bauklötzen und Carrerabahnen zu tun hat.

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Michelle, du hast dich vor rund zweieinhalb Jahren entschieden, ein Zahnmedizinstudium zu beginnen. Das hieß auch, die Trainingsumfänge zu verringern, obwohl du eine talentierte Nachwuchsathletin warst. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Ich musste mich nach meiner Teilnahme an den Junioren-Weltmeisterschaften 2017 einer Nasen-Nebenhöhlen-Operation unterziehen. Ich habe ein halbes Jahr keinen Sport machen können und in dieser Zeit gemerkt, dass es super schnell gehen kann im Leistungssport. Deshalb ist es mir wichtig, eine Ausbildung zu haben. Die Gefahr, mit 24 Jahren nur mit meinem Abitur dazustehen, war mir zu groß.

Ich habe dann mit meinem Trainer Roland (Knoll, Anm. d. Red.) geredet und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass ich es mit dem Studium versuchen werde. Roland meinte, ich könnte auch nach dem Abschluss des Studiums noch mal voll auf den Sport setzen, wenn ich bis dahin auf einem guten Niveau weitertrainiere.

Zu Beginn des Studiums konntest du sogar fast so viel trainieren wie zuvor.

Die ersten zwei Semester ging es richtig gut, da konnte ich sogar mit ins Trainingslager. Ab dem dritten Semester ist es mir dann schwer gefallen, ich musste die Umfänge reduzieren. Es war nicht einfach, mir einzugestehen, dass ich das Training zurückfahren muss. Es hat ein Jahr gebraucht, bis ich das konnte.

Wie gering ist dein Trainingsaufwand nun im Vergleich zu früher?

Ich trainiere einmal pro Tag, am Wochenende vielleicht auch mal zweimal. Früher habe ich zwei- bis dreimal am Tag am Stützpunkt in Nürnberg trainiert. Es sind also weniger als die Hälfte der Einheiten im Vergleich zu früher.

Das schlägt sich auf die Leistung nieder.

Es ist schwer zu akzeptieren, dass man langsamer wird. Man muss vor allem lernen, welche Einheiten man braucht. Am Anfang bin ich drei- bis viermal die Woche schwimmen gegangen. Da konnte ich in den Bundesligarennen beim Schwimmen gut mithalten. Beim Laufen bin ich dann aber stehengelassen worden.

Und nun?

Nun gehe ich fünf- bis sechsmal die Woche laufen und nur noch einmal die Woche schwimmen. Wenn es mir dann gelingt, in den Wochen vor einem Rennen wie in Saarbrücken (aufgrund der Semesterferien, Anm. d. Red.) etwas mehr zu schwimmen, hält sich der Rückstand in Grenzen und es ist eine Mittelfeldplatzierung drin. Im Laufen bin ich dann gar nicht so viel langsamer.

Du warst als Juniorin erfolgreich, bei der Junioren-WM dabei, bist bereits im Europa- und im Weltcup gestartet. Wie schwer ist es dann zu sagen, ich versuche meine Chance im Sport nicht zu nutzen?

Das ist natürlich schwer. Ohne das halbe Jahr Pause wegen der Operation hätte ich auch nicht so entschieden. Aber die nationale Konkurrenz in meinem Jahrgang ist mit Lisa Tertsch, Lena Meißner oder Nina Eim natürlich auch sehr stark. Da weiß man natürlich auch nicht, schaffe ich die Qualifikation für bestimmte Rennen, lohnt es sich, noch zwei, drei Jahre in den Sport zu investieren, um dann zu sehen, dass es nicht geklappt hat.

Wie wahrscheinlich ist es, dass du irgendwann in den (Hoch-)Leistungssport zurückkehrst?

Ich habe das auf jeden Fall im Kopf. Simon (Henseleit, ihr Freund, Anm. d. Red.) ist ja erfolgreich unterwegs im Leistungssport. Ich sehe natürlich, was für tolle Rennen er macht und habe auch den Ehrgeiz, da mal dabei zu sein. Stand jetzt bin ich noch nicht zufrieden mit dem im Sport erreichten. Deshalb würde ich es gerne noch mal versuchen. Mein Vorbild ist Marlene Gomez-Islinger, die ja für rund zweieinhalb Jahre eine Auszeit vom Triathlon genommen hat, um in den USA zu studieren (Gomez-Islinger kehrte Ende 2018 zum Triathlon zurück und belegte dieses Jahr bei der WM in Hamburg Rang 22, Anm. d. Red.). Mal schauen, wie ich in drei Jahren darüber denke, wenn mein Studium beendet ist.

Du nimmst eine Auszeit vom Hochleistungssport, Simon ist 2019 so richtig durchgestartet. Wie fühlt sich das an?

Ich freue mich für Simon. Er hat sich für einen anderen Weg entschieden, ich habe mittlerweile Frieden mit meinem Weg geschlossen. Ich beneide ihn daher nicht so sehr. Was wichtig ist: Ich verliere durch ihn den Kontakt zum Leistungssport nicht, bleibe nahe dran. Das Feuer in mir bleibt also erhalten. Wenn ich nur in meiner Studentenblase wäre, würde diese Liebe am Sport vielleicht irgendwann nicht mehr so groß sein.

Wie groß ist die Belastung des Studiums?

Ich strecke mein Studium nicht wie viele Sportler*innen. Im vergangenen Semester saß ich jeden Tag von morgens um acht Uhr bis abends um 20 Uhr am Schreibtisch. Mittags habe ich zwei Stunden Pause gemacht, um joggen zu gehen. Das ist natürlich nicht mit einem normalen Studentenleben zu vergleichen.

Bist du neidisch auf Student*innen, die ein eher lockeres Leben haben?

Nein, ich habe mir mein Studiengang selbst ausgesucht. Ich will nicht zu den 100.000 Absolvent*innen gehören, die ihre Zeit im Studium genossen haben, dann aber Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden.

Was fasziniert dich an der Zahnmedizin?

Ich finde es toll, mit Menschen zu arbeiten. Ein typischer Bürojob wäre nichts für mich. Und ich wollte etwas Handwerkliches machen. Zahnmedizin ist etwas Handwerkliches. Ich habe schon immer gerne gebaut und gebastelt.

Was zum Beispiel?

Ich habe in der Weihnachtszeit schon immer viel gebastelt, habe aber auch Figuren hergestellt oder Holzhütten für Playmobilmenschen.

Klingt fast so, als hättest du in der Kindheit das eine oder andere eher jungstypische Hobby gehabt.

Was ist denn heute noch typisch Junge oder typisch Mädchen? Ich bin ein Einzelkind, daher hat mein Papa mit mir auch gerne Dinge gemacht, die vielleicht eher zu Jungs passen. Ich hatte zum Beispiel eine Carrerabahn und habe auch gerne mit so Bauzeugs gespielt. Meine damaligen Freundinnen haben damit übrigens auch immer gerne gespielt, wenn sie zu Besuch waren.

Mehr über das Leben von Michelle Braun, über das Leben als Sportlerin und Studentin erfahrt ihr in ihrem Blog: https://ipp-nbg.de/category/sportblogs/blog-michelle-braun/