"Ich höre ja nicht ganz auf"

21.09.2021 –  thorsten eisenhofer

Aljoscha Willgosch (Team Weimarer Ingenieure – HSV Weimar) hat seine Profikarriere beendet. Ein Gespräch über die schwarze Null, die fehlende Zeit, ein Buch zu lesen, einen Auftrag, den er nicht mehr ausführen konnte und den Grund, weshalb ihn seine Eltern aufziehen.

Aljoscha Willgosch

Aljoscha, du hast Mitte September über deine sozialen Kanäle das Ende deiner Karriere als Leistungssportler bekannt gegeben.

Ja. Ich war etwas verwundert über die intensive Anteilnahme auf den Post. Für mich stand dieser Entschluss schon länger fest, dass ich nach dieser Saison meine Karriere als Leistungssportler beenden werde.

Wer hat das gewusst?

Neben den engsten Vertrauten niemand.

Und dann bist du verwundert?

Ich höre ja nicht ganz auf. Ich habe nur geschrieben, dass ich meine Prioritäten verschiebe. Ich musste lernen, dass es mit meinen Voraussetzungen nicht mehr möglich ist, auf dem höchsten Niveau Triathlon zu betreiben und damit meine hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen. Meine Freundin und ich haben mittlerweile zwei Kinder und der Fokus verschiebt sich dadurch immer mehr auf die Familie und darauf, unseren Unterhalt mitzuverdienen. Ich habe jetzt ein ganz anderes Verantwortungslevel als noch vor ein paar Jahren.

Wie äußert sich das?

Bis zu einem gewissen Grad ist der Sport richtig, richtig geil. Wenn man aber darauf angewiesen ist, am Ende des Jahres finanziell eine schwarze Null oder im Idealfall etwas mehr stehen zu haben, wird ein gewisser Erfolg existentiell. Dann gehen auch Spaß und Lockerheit schon mal verloren. Ich steige in der Regel nachmittags nicht aufs Rad, um den Kopf freizubekommen. Das Training vor und nach der Arbeit hatte immer Struktur und ein klar definiertes Ziel.

Es geht auch um die Priorität von Sport im Leben.

Sport stand das ganze Leben bei mir an erster Stelle. Und andere Personen mussten sich dem unterordnen, auch meine Familie. Jetzt habe ich einen Job und  mittlerweile zwei Kinder, die ein ordentliches Pensum einfordern. Für die Regeneration, die mit zunehmenden Alter immer wichtiger wird, habe ich den vergangenen Jahren immer weniger Zeit gefunden …

 … während es auf der Mittel- und Langdistanz immer professioneller zugeht.

Richtig! Die Leistungsdichte bei den Männern wird immer krasser. Man muss mittlerweile in der Lage sein, mindestens 20 Stunden die Woche zu trainieren. Und mindestens genauso viel Zeit in die Regeneration investieren. Denn Regeneration ist der Schlüssel zum Erfolg. Und Regenerieren heißt nicht, zu arbeiten, sondern Zeit für sich und etwas Zerstreuung zu haben. Zum Beispiel mal in Ruhe ein Buch zu lesen. Mit den Kindern schaffe ich es nicht vor 21 Uhr, mal Zeit für mich zum Runterkommen zu haben. Und um 22 Uhr versuche ich im Bett zu liegen, damit ich das Pensum am nächsten Tag wieder schaffe. Viel Zeit für Zerstreuung bleibt da nicht, um den Akku wieder aufzuladen.

Was folgt nun?

Mit acht Jahren habe ich angefangen, Triathlon zu trainieren, dieses Jahr werde ich 33 Jahre alt. Ich habe zweieinhalb Jahrzehnte alles auf Ergebnisse ausgerichtet. Sich nun neu zu orientieren, ist eine Herausforderung, der ich mich allerdings stellen will. In den vergangenen zwei Jahren ist die Erkenntnis gereift, dass es mit einem Kind schon herausfordernd ist, Leistungssportler zu sein. Mit zwei Kindern ist es mir unter den Voraussetzungen schlichtweg unmöglich, das Niveau zu halten. Eigentlich wollte ich schon vor einem Jahr mit dem Leistungssport aufhören, habe mich dann allerdings dazu entschlossen, noch ein Jahr weiterzumachen. Ich wollte meine Karriere mit einem guten Gefühl beenden. Es war für mich ein Auftrag, das Team Weimarer Ingenieure zurück in die Erste Bundesliga zu führen. Es war natürlich super ärgerlich für die Mannschaft und für mich, dass durch die Coronastatuten der Aufstieg ausgesetzt wurde.

Du hast in einem Interview mal zu mir gesagt, du wirst nach deiner Karriere definitiv nicht Hobbygärtner.

Meine Freundin triggert mich ein bisschen dazu (lacht). Ich werde ihr jetzt natürlich mehr bei Ihrer Leidenschaft unter die Arme greifen. Der Sport hat in meinem Leben aber immer eine große Rolle gespielt. Das wird auch so bleiben. Bis Ende des Jahres werde ich erst einmal eine Auszeit nehmen und mir Zeit für die Familie nehmen. Wir werden heiraten. Schon allein aus physiologischen Gründen werde ich aber weiter trainieren, aber nicht mehr mit der absoluten Bedingungslosigkeit und Priorität wie bisher. Dann werden wir sehen, will mich erstmal im Thüringer Triathlon einbringen. Auf jeden Fall bin ich weiterhin für mein Team, die Weimarer Ingenieure, und beim Paradiestriathlon als Unterstützung und Ideengeber dabei. Ich möchte die Erfahrung, die ich über die vielen Jahre gesammelt habe, weitergeben.

Bei Wettkämpfen werden wir dich weniger sehen?

Das weiß ich noch nicht. Was ich weiß, ich will irgendwann noch eine Langdistanz absolvieren. Mein Vater hat eine gefinisht, meine Mutter mehrere. Und sie ziehen mich immer damit auf, dass sie mir das voraus haben.

Was bleibt aus zweieinhalb Jahrzehnten Triathlon, aus knapp zwei Jahrzehnten Leistungssport?

Ein unfassbarer Erfahrungsschatz aus der Trainingswissenschaft und aus sozialer Sicht tolle Freundschaften, die hoffentlich ein Leben lang halten werden. Dafür bin ich unfassbar dankbar. Das ist auch ein Grund, warum ich dem Sport erhalten bleiben will. Die Community im Triathlon ist einfach sensationell.

Und sportlich?

Sicherlich die beiden Aufstiege in die Erste Triathlon-Bundesliga mit dem Kölner Triathlon Team 01 (2009) und dem Triathlonteam Weimarer Ingenieure – HSV Weimar (2018). Meine 70.3-WM in Chattanooga 2017 war allerdings auch speziell. Und in der Jugend hätte ich vermutlich mehr auf Klaus-Peter Justus (sein langjähriger Trainer, Anm. d. Red.) hören sollen. Dann wäre der sportliche Weg sicher noch etwas erfolgreicher gelaufen (lacht).